Wie können in einer
offenen Beziehung Regeln unterstützen?
Braucht eine offene Beziehung Regeln?
Ob in einer offenen Beziehung oder auch in gelebter Polyamorie: Regeln sind häufig besonders zu Beginn dieser Erfahrung ein heiß diskutiertes Thema – und das ist gut so.
Wer in diese aufregende Erfahrung eintauchen möchte, darf gründlich darüber nachdenken, wie er oder sie die offene Beziehung regeln möchte. Warum? Weil Regeln uns aufzeigen, was uns wichtig ist, wovor wir Angst haben und was zwischen allen Beteiligten noch unklar ist oder grundsätzlich geklärt werden darf.
Natürlich können offene Beziehungen oder Polyamorie auch ohne Regeln funktionieren und dennoch können Regeln gerade zu Beginn eine hilfreiche Unterstützung sein.
Themen dieses Artikels im Überblick:
Was spricht für Regeln in einer offener Beziehung?
-
Regeln schaffen Grenzen und geben Sicherheit
-
Regeln fördern Kommunikation untereinander
-
Regeln schaffen Klarheit
-
Regeln können vor Chaos schützen
-
Regeln können Bauchschmerzen vermeiden
-
Mit Regeln Wertschätzung füreinander ausdrücken
Was spricht gegen Regeln in offener Beziehung?
In meinen anderen Beiträgen kannst Du mehr über typische Regeln zu Beginn einer offenen Beziehung und über sinnvolle Regeln in offenen Beziehungen erfahren. Falls Du Dich zum ersten Mal mit dem Thema offene Beziehung beschäftigst, empfehle ich Dir als Überblick meinen Artikel "Was ist eine offene Beziehung" zu lesen.
Was spricht für Regeln in einer offener Beziehung?
Sind Paare bereits längere Zeit zusammen, kennen die Partner einander meist bereits sehr gut, haben vielleicht auch bereits gemeinsame Lebensziele verwirklicht und bestimmte Routinen entwickelt.
Verwandeln Paare nun ihre Beziehung in eine offene Beziehung, laden sie sich in erster Linie ein großes Abenteuer in ihr Leben ein. Gleichzeitig mit dem (oftmals ersehnten) Abenteuer, kommt mit der Beziehungsöffnung allerdings meist auch eine große Unsicherheit daher.
Regeln schaffen Grenzen und geben Sicherheit
Gerade zu Beginn einer Beziehungsöffnung sind Unsicherheiten zwischen dem Paar häufig an der Tagesordnung. Das Paar kann sich gegenseitig noch so gut kennen, keiner von beiden kann vorhersehen, was die Beziehungsöffnung mit den einzelnen Personen und der bisherigen Beziehung wirklich macht.
Es ist daher ganz natürlich, dass zunächst auch Ängste auftauchen.
Gerade bei einer Beziehungsöffnung werden sehr ernstzunehmende Ängste in uns berührt.
Oftmals sind sich die Beziehungspartner dieser Ängste anfangs gar nicht bewusst. Manchmal gesteht sich eine Person ihre Ängste selbst auch nicht ein oder hat Schwierigkeiten damit, sie der Partnerin oder dem Partner zu offenbaren.
Doch genau diese Ängste (nicht nur) zu Beginn einer offenen Beziehung, sollten sehr ernst genommen werden. Meiner Erfahrung nach sind sie unbeachtet der größte Stolperstein bei einer Beziehungsöffnung.
Doch wie genau kommen wir nun an unsere Ängste in Bezug auf die Beziehungsöffnung heran?
Schauen wir uns einfach unsere Wünsche, Grenzen und Bedingungen einmal genauer an, die uns beim Thema offene Beziehung durch den Kopf gehen.
Meist fallen interessierten Paaren in Bezug auf eine offene Beziehung sofort Dinge ein, die eingehalten oder vermieden werden sollten.
Ein Beispiel
Ich möchte auf keinen Fall, dass meine Partnerin oder mein Partner sich in der gemeinsamen Wohnung oder dem gemeinsamen Haus mit einer anderen Person trifft.
Dahinter könnten beispielsweise folgende Ängste stehen:
Wenn ich mir vorstelle, wie mein Partner oder meine Partnerin Zeit mit einer anderen Person bei uns zu Hause verbringt, habe ich konkrete Bilder im Kopf. Dann werde ich eifersüchtig.
Wenn ich dann Eifersucht spüre, fehlt mir ein Rückzugsraum, in dem ich mich sicher fühlen kann und der von Dritten unberührt ist.
Daraus könnten nun folgende Bedürfnisse abgeleitet werden: Sicherheit & geschützte Privatsphäre.
Ich brauche einen sicheren Ort, der meine und die Paar-Privatsphäre nicht verletzt und an dem ich mich nicht mit einer weiteren Person oder meiner Vorstellung einer weiteren Person auseinandersetzen brauche.
Daraus wiederum könnte nun die folgende Regel abgeleitet werden:
Wir treffen uns nur außerhalb unseres Zuhauses mit anderen Personen.
Schauen wir uns unsere Ängste im Zusammenhang mit einer Beziehungsöffnung genauer an, so können wir daraus Regeln ableiten. Diese offene Beziehungs-Regeln können uns dann dabei unterstützen, dass beispielsweise etwas in unserer Beziehung geschützt wird, das uns wichtig ist oder verhindern, dass etwas passiert, das wir nicht möchten.
Genau an dieser Stelle können offene Beziehungs-Regeln helfen.
Regeln können helfen, aber niemals eine Beziehung100%-ig absichern.
Mir ist es ein Anliegen, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass mit Regeln in einer offenen Beziehung oder in einer polyamoren Beziehung eine gemeinsame Richtung eingeschlagen werden kann. Die Dynamik, die sich letztendlich jedoch entwickelt, kann meiner Erfahrung nach mit keiner Regel kontrolliert, abgesichert oder verhindert werden.
In mir taucht dazu das Bild eines Segelbootes auf, das vom Paar auf Weltreise geschickt wird. Das Paar kann vorab die Route festlegen, genug Proviant mitnehmen und sich sehr gut vorbereiten. Jedoch ist das Segelboot auf der Reise dem Wetter und anderen äußeren Umständen ausgesetzt, auf die spontan reagiert werden muss. Wer jedes Risiko ausschließen möchte, sollte sich überlegen, ob eine Weltreise mit dem Segelboot das Richtige für ihn oder sie ist 😉
Regeln fördern Kommunikation untereinander
Meist spuken den Beteiligten unzählige Fragen im Kopf herum, an sich selbst, an den Partner oder die Partnerin oder auch an zukünftige Dates oder mögliche Partner.
Vielleicht grübelt eine Person über alles nach, was schief gehen kann, während die andere Person über die langersehnte Erfüllung seiner oder ihrer Wünsche sinniert.
Egal womit sich jeder einzelne Partner beschäftigt, die gemeinsame Erarbeitung von Regeln für eine offene Beziehung bietet eine riesige Chance, sich gegenseitig noch viel tiefer kennenzulernen.
Vielleicht schreibt jeder zunächst einmal seine oder ihre Wunschregeln für eine offene Beziehung auf und ihr gebt sie sich gegenseitig zum Lesen um danach darüber zu sprechen. Was sind die Beweggründe? Warum ist die einzelne Regel wichtig für die Person und was löst die Regel auf beiden Seiten aus?
Beim Besprechen von möglichen Regeln für die offene Beziehung wird häufig offensichtlich, was vorher Verborgenen schlummerte.
Mein Mann und ich haben uns dabei beispielsweise spielerisch genähert. Wir haben uns aus einer Gedankenspielerei darüber unterhalten, was wir für Regeln aufstellen würden, wenn wir denn unsere Beziehung öffnen würden.
Mit dem Gespräch über mögliche Regeln haben wir mehrere Stunden gefüllt und dabei viele Ängste, Sorgen und auch Wünsche vom anderen erfahren.
Dieser Weg hat uns dabei geholfen, uns ohne Druck mit dem Thema auseinanderzusetzen und erstmal auf Tuchfühlung mit diesem neuen Lebensweg zu gehen. Es kam zuerst eben gar nicht darauf an, die Regeln konnten erst einmal überlegt werden und reiften dann noch einige Zeit, bis sie zum Einsatz kamen.
Regeln schaffen Klarheit
Gerade bei einem ersten Date außerhalb der vielleicht bisher monogamen Beziehung sind die Partner mit jeder Handlung, mit jeder Entscheidung oftmals so richtig herausgefordert.
Was ist jetzt in Ordnung und was nicht? Was würde vielleicht meinem Partner oder meiner Partnerin sauer aufstoßen? Kann ich in allen Situationen für mich und für meine Beziehung stimmig reagieren?
Hat eine Person keine Idee davon, was für sie und ihre Beziehung in Ordnung ist, kommt es schnell zu einem unangenehmen Gefühl von Unsicherheit auf allen Seiten.
Richtig unangenehm kann es werden, wenn keine Regeln existieren und sich eine Person keine Zeit für ein entspanntes Reinfühlen in der neuen Situation nimmt, sondern stattdessen einfach irgendetwas mitmacht, das sich hinterher verkehrt anfühlt.
Regeln können hierbei definitiv eine Erleichterung sein.
Für einige Paare ist ein Treffen oder sogar eine neue Beziehung zu einer anderen Person vielleicht durchweg entspannt und super einfach, weil alles eingeladen ist und die Partner einfach mit dem Flow des Momentes gehen können.
Für andere Paare ist es vielleicht wichtig, sich auf einen Rahmen verlassen zu können.
-
An welchen Orten (in welchem Zuhause) darf ein Date stattfinden?
-
Welche das Paar betreffende Informationen dürfen an ein Date weitergegeben werden?
-
Was darf bei einem Treffen oder Date mit der anderen Person überhaupt stattfinden?
-
Welche sexuellen Praktiken sind mit jemandem anderen in Ordnung?
-
Darf bei einem Date übernachtet werden?
-
Darf Zärtlichkeit mit der anderen Person im öffentlichen Raum für andere sichtbar sein?
Bei einem Date ergeben sich zwangsläufig zahlreiche Entscheidungen. Gerade auch für die dritte Person kann es ein großer Unterschied sein, eine bereits „vergebene“ Person zu treffen.
Meiner Erfahrung nach stellt sich die dritte Person häufig die Frage, was alles „in Ordnung“ ist und was nicht. Ob es irgendwelche Einschränkungen gibt:
-
Gehen wir außerhalb etwas essen oder treffen wir uns im privaten Raum?
-
Dürfen wir einfach übereinander herfallen und wenn ja, in welchem Rahmen?
-
Übernachtest Du bei mir?
-
Wie viel Romantik ist eingeladen oder ist das zu dicht an einem Pärchen-Verhalten, das vielleicht nicht sein soll?
Solche Art Fragen stehen dann häufig im Raum und dürfen beantwortet werden.
Ich empfehle, Regeln gleich zu Beginn eines Dates klar zu kommunizieren und ggf. auch Unklarheiten zu klären. Danach haben alle Beteiligten dann hoffentlich ihre Fragen aus dem Kopf und können die Zeit unbeschwert miteinander genießen.
Regeln können vor Chaos schützen
So viel Regeln für Klarheit sorgen können, schützen sie auch vor Chaos. Sind keine Regeln besprochen, kommt es häufig zu Beginn einer offenen Beziehung vor, dass sich beide Partner in ihren Köpfen bestimmte Ideen zurechtlegen.
Aus den Beziehungsgewohnheiten und dem Wissen heraus, das das Paar gegenseitig über sich hat, werden oftmals Annahmen getroffen.
Zum Beispiel: Ist ja klar, dass…
-
mein Partner sein Date nur „ab und zu“ trifft! (Ist das jeden zweiten Tag oder einmal pro Monat?)
-
meine Partnerin zwischendurch aufs Handy schaut und erreichbar ist!
-
mein Partner dem Date nichts schenkt oder ausgibt, weil wir ein gemeinsames Konto haben!
-
meine Partnerin mit ihrem Date nicht zwischendurch dauernd Nachrichten schreibt!
-
mein Partner unsere Lieblingsunterwäsche nicht zu einem Date anzieht!
Solche kleinen Annahmen erweisen sich meiner Erfahrung nach häufig als falsch, denn der Partner oder die Partnerin sehen diese Dinge manchmal (auf einmal) dann ganz anders als gedacht. Das kann schnell zu Irritationen und Enttäuschungen führen.
Auch in diesem Fall können Offene-Beziehungs-Regeln davor schützen, dass es aufgrund von Interpretationen und Annahmen zu Missverständnissen und Verletzungen kommt.
Mit Offene-Beziehungs-Regeln Bauchschmerzen verhindern
Aus einer eigenen Unsicherheit heraus können Entscheidungen entstehen, die sich im Nachhinein nicht gut anfühlen. Im besten Fall fühlen sich nach einem Date mit einer dritten Person alle Beteiligten bereichert. Wenn jedoch viel Unklarheit und Unsicherheit im Spiel war, folgen meist lange Grübeleien auf allen Seiten.
Das externe Date fragt sich damit nicht im Nachhinein, ob der Ablauf des Dates eigentlich abgesprochen und wirklich so in Ordnung war. Der datende Partner oder die datende Partnerin braucht sich keine Gedanken um mögliche Grenzüberschreitungen machen. Auch kann sich der zu Hause gebliebene Partner oder die Partnerin entspannt zurücklehnen und auf ein unangenehmes Kopfkino mit vielleicht die Beziehung bedrohenden Szenarien verzichten.
Gerade Fragen danach, was nun in Ordnung für alle Beteiligten ist und was nicht, können mit einfachen Regeln für die offene Beziehung meist von vornherein beantwortet werden.
Was haben Offene-Beziehungs-Regeln mit Wertschätzung zu tun?
Manche Regeln entstehen aus dem Wunsch beider Partner, manch andere ist besonders das Anliegen einer einzelnen Person.
Diese Regeln zu berücksichtigen hat viel mit Respekt und Wertschätzung der gegenseitigen Bedürfnisse zu tun.
Hat dein Partner oder deine Partnerin bestimmte Grenzen und Wünsche und leitet ihr daraus eine Regel für die offene Beziehung ab (und haltet sie ein 😉), so zeigt ihr euch damit, dass ihr euch wichtig seid und ihr eure Grenzen respektiert.
Das Erstellen und Einhalten von Regeln kann sich also in mehrfacher Hinsicht gut anfühlen.
Was spricht gegen Offene-Beziehungs-Regeln?
Natürlich sind Regeln in einer offenen Beziehung nicht die Lösung für alle Herausforderungen und auch Wünsche.
So wie Regeln zunächst für ein Gefühl von Sicherheit sorgen können, so sind sie gleichzeitig auch Schranken für neue Verbindungen.
Regeln schränken für manche Menschen ihr Gefühl von Freiheit ein. Ein freies Fließen und sich vollständig und grenzenlos auf einen anderen Menschen einlassen - mental, emotional, seelisch und körperlich - ist mit bestimmten Regeln nicht so einfach möglich.
Eine weitere Begleiterscheinung von Regeln ist die direkte Entzauberung zu Beginn einer neuen Verbindung mit einem anderen Menschen. Ein romantischer Zauber zu Beginn einer neuen Verbindung hat beim Besprechen von Regeln erst einmal wenig Chance sich zu entfalten.
Auch das Betreten einer Verliebtheitsblase mit der altbekannten rosaroten Brille fällt bei verschiedenen Regeln, die im Hinterkopf herumschwirren, nicht so leicht.
Wer den Nervenkitzel schätzt, für den sind Regeln innerhalb der offenen Beziehung vielleicht auch eine weniger attraktive Idee. Ein Date ohne Regeln, ein freier Fall ins Unbekannte kann natürlich durchaus seinen Reiz haben, damit dürfen dann allerdings auch alle Beteiligten einverstanden sein.
Regeln können also ein wenig die Freude und den Enthusiasmus dämpfen. Einige Paare empfinden wiederum genau diese leichten Dämpfer als hilfreich, um die eigene Beziehung zu schützen.
Mehr lesen über typische Regeln in einer offenen Beziehung oder über sinnvolle Regeln in einer offenen Beziehung.
Weitere Themen
Offene Beziehungen bieten eine Möglichkeit neben der emotionalen Paar-Verbindung auch Raum für individuelle Freiheit zu schaffen. Dabei stehen Vertrauen, Kommunikation und Ehrlichkeit im Mittelpunkt.